Lebendige Zentren – ein Begriffschaos

Begriffschaos
photocredits: media-tp & freepik

Es herrschte reines Begriffschaos im gestrigen Bauausschuss!

Integriertes Städtebauförderungskonzept, ISEK, Ausgleichsbeiträge, Ausgleichsbeträge, Sanierungskosten, Sanierungsgebiet, Lebendige Zentren, Grundbucheintrag, Zonen, Bodenwert, Bodenrichtwerte… usw. usw. Eine Begriffsflut brachte Ausschussmitglieder und zuhörende Gäste, Bürgerinnen und Bürger an den Rand des Wahnsinns. Was ist geschehen und warum?


In der Sitzung vom 14.12.2017 hat die Stadtverordnetenversammlung den Antrag auf Aufnahme in das Städtebauförderungsprogramm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ = ISEK beschlossen. Die Aufnahme in das Städtebauförderungsprogramm ist durch den Zuwendungsbescheid der Investitionsbank Schleswig-Holstein vom 14.12.2018 erfolgt. Die dazu notwendigen Voruntersuchungen sind nun, nach fünf Jahren abgeschlossen und die Ergebnisse des Gutachtens wurden im Bauausschuss am 13. Februar 2023 präsentiert.

Für aufgeregte Unruhe sorgte ein Artikel in den Lübecker Nachrichten vom 09.02.2023 unter dem suggestiven Titel:

Bad Schwartau: Zahlen bald die Anwohner für die Innenstadt-Sanierung?

Für Unmut sorgten Aussagen wie “ Es ist jedoch auch vorgesehen, die Anwohner im Rahmen von Ausgleichsbeiträgen zur Kasse zu bitten: 3,5 Millionen Euro sollen so zusammenkommen“ und zwar für die Sanierung des Amtsgerichts am Markt, eine Aufwertung des Kurparks, des Bahnhofs samt seinem Umfeld, des Bürgerparks und des Markplatzes, die Neuausrichtung der Stadtbücherei und die Verlegung des Zob. „Hinzu kommen Modernisierung und Umgestaltung einiger Straßen, darunter die Lübecker Straße, die Geibelstraße und der Eutiner Ring. Inklusive aller Planungskosten ist die Rede von 35,185 Millionen Euro, die in die Hand genommen werden wollen.“ (Quelle: LN).

Der Artikel vermittelte somit den Eindruck, dass Grundstückseigentümer, Privatpersonen und Gewerbetreibende mit 3,5 Millionen Euro für das gesamte Maßnahmenpaket zur Kasse gebeten werden sollen. Die Aufregung war groß!

Hier nun Klarstellungen zu der irreführenden Berichterstattung in den Lübecker Nachrichten und dem anfangs erwähnten Begriffschaos.

Lebendige Zentren – ISEK – Begriffschaos

Das Integrierte Städtebauförderungsprogramm Aktive Stadt- und Ortsteilzentren trägt seit der Umstrukturierung des bundesweiten Städtebauförderungsprogramms im Jahr 2020 einen neuen Namen, nämlich „Lebendige Zentren„. Eine Liste der Schleswig-Holsteinischen Städte und Kommunen, die bereits an diesem Förderungsprogramm teilnehmen steht der Öffentlichkeit hier zur Verfügung. Ebenfalls steht ein Kommunikationsleitfaden für Städte und Kommunen zur Verfügung, der die Beschreibung der Städtebauförderung sehr anschaulich darstellt. Leider ist von Seiten unserer Verwaltung dazu kaum etwas umgesetzt. Ferner ist das Innenstadtprojekt nicht zu verwechseln mit einer anderen Fördermaßnahme in Bad Schwartau: „Soziale Stadt“ in Cleverbrück.

Das oben genannte Gutachten sieht insgesamt 26 Maßnahmen zur Aufwertung und Umgestaltung der Innenstadt vor, darunter diejenigen, die auch in den Lübecker Nachrichten genannt sind. Am Anfang des Projektes gingen Verwaltung und Politik davon aus, „dass für die jeweiligen Maßnahmen Förderungen für einzelne Projekte im Rahmen der Städtebauförderung beantragt und durchgeführt werden können“. Die nunmehr vorliegende, abschließende Bewertung des Referates für Städtebauförderung kommt jedoch zu folgendem Ergebnis:

„Eine Aufwertung der Innenstadt, wie sie hier angestrebt wird, bringt höchstwahrscheinlich sanierungsbedingte Wertsteigerungen im Fördergebiet mit sich, die von den Eigentümern abgeschöpft werden müssen. Dafür sprechen die umfassenden und langfristig wirksamen Ziele und Maßnahmen der Stadt Bad Schwartau für die Gesamtmaßnahme. Auch Maßnahmen, die der Allgemeinheit dienen, können dabei bodenwertsteigende Auswirkungen mit sich bringen, indem z. B. innerstädtische Grundstücke durch die Sanierung attraktiver werden. Ein dabei entstehender sanierungsbedingter Lagevorteil der Eigentümer muss abgeschöpft werden.

https://www.bad-schwartau.sitzung-online.de/public/vo020?VOLFDNR=1001752&refresh=false&TOLFDNR=1010466

Mit dieser neuen Bewertung durch das Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport (MIKWS übrigens füher MILIG) fallen dann auch die Begriffe, die zur Verwirrung / Verunsicherung führen: „Abschöpfung sanierungsbedingter Wertsteigerung“ und „Fördergebiet = Sanierungsgebiet“.

Sanierungsgebiet

Die folgende Grafik aus dem Gutachten verdeutlicht die Abgrenzung des Sanierungsgebiets und die geplanten Maßnahmen.

Sanierungsgebiet
Sanierungs- / Fördergebiet

Das hier umrissene Förder- / Sanierungsgebiet umfasst demnach große Teile der Innenstadt Bad Schwartaus, womit nun endlich die in der Vergangenheit angedachten und aufgeschobenen Projekte realisiert werden können. Zu nennen sind die gestoppte Aufwertung des Kurparks, der gestoppte Umbau der Bücherei, die Sanierung von Rad- und Gehwegen, Nutzung und Umgestaltung des alten Amtsgerichtsgebäudes und die Neuausrichtung des Bahnhofs samt seines Umfeldes. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, da im Zuge der Schienenhinterlandbindung zur Festen Fehmarnbeltquerung das jetzige Bahnhofsgebäude einer neuen Nutzung zugeführt werden muss.

Ausgleichsbetrag – Begriffschaos?

Der im Gutachten und in den Lübecker Nachrichten genannte Ausgleichsbetrag in Höhe von 3,5 Millionen Euro erweckt den falschen Eindruck, dass dieser Betrag nun von den privaten Grundstückseigentümern im Sanierungsgebiet aufgebracht werden müsse. Und hier entsteht das Begriffschaos.

Zum einen wird an der Abbildung deutlich, dass sich zahlreiche Grundstücke in städtischem Eigentum befinden und damit also auch die Stadt nicht unwesentlich an möglichen Ausgleichsbeträgen beteiligt ist.

Zum anderen ist der Ausgleichsbetrag kein Ausgleichsbeitrag, der dann gerne mit den abgeschafften Straßenausbaubeiträgen verwechselt wird.

Der Ausgleichsbetrag, den somit alle Grundstückeigentümer zahlen müss(t)en ist derjenige Betrag, der sich aus einer rein sanierungsbedingten Wertsteigerung des Grundstücks errechnet.

GrundstückswertPreis
1Zu Beginn der Sanierung 100 €/qm
2Zum Abschluss der Sanierung durch natürliche Wertsteigerung120 €/qm
3Zum Abschluss der Sanierung sanierungsbedingte Wertsteigerung140 €/qm
4Ausgleichsbetrag: Zeile 3 minus Zeile 220 €/qm
Ausgleichsbetrag

Diese sanierungsbedingte Wertsteigerung eines Grundstücks wird durch einen unabhängigen Gutachterausschuss durch eine Wertermittlung zu Beginn und zum Abschluss der Maßnahme ermittelt. Ein Muster einer solchen Abrechnung kann am Beispiel der Altstadt Rathenow im Internet eingesehen und nachvollzogen werden.

Und schließlich wird das Sanierungsgebiet in unterschiedliche Zonen eingeteilt, die gewissermaßen einen Wirkungsgrad der Sanierungsmaßnahmen feststellen, das heißt die mögliche sanierungsbedingte Wertsteigerung ist nicht eine pauschale, für alle Eigentümer gleichermaßen zutreffende, Größe, sondern auch davon abhängig, in welchem Umfang eine Maßnahme die Lage des Grundstücks betrifft. Diese Zonen werden in der Regel farblich markiert, wie wiederum das Beispiel der Altstadt Rathenow zeigt.

Zonen im Sanierungsgebiet
Zoneneinteilung Altstadt Rathenow

Die anfängliche und abschließende Wertermittlung der betroffenen Grundstücke ermittelt dabei die jeweiligen tatsächlichen Grundstücks- bzw. Bodenwerte und orientiert sich nicht an Bodenrichtwerten.

Grundbucheintrag – Begriffschaos

Ein gewaltiger „Aufreger“ der Sitzung des Bauausschusses betraf die mit der Festlegung als Sanierungsgebiet notwendige Eintragung eines „Sanierungsvermerks“ im Grundbuch Abt. II der betroffenen Grundstücke. Durch die Neubewertung durch das Ministerium als „Sanierungsgebiet“ ist verpflichtend vorgeschrieben, dass die betroffenen Grundstücke einen sog. „Sanierungsvermerk“ im Grundbuch Abt. II erhalten. Damit werden Grundstückskäufe / -verkäufe, Darlehen und private Umbau- / Sanierungs- / Abrissmaßnahmen grundsätzlich beim Sanierungsträger anzeige- und genehmigungspflichtig. Daraus resultieren im wesentlichen drei Befürchtungen:

  • Genehmigungsverfahren dauern unangemessen lange
  • Genehmigungen werden untersagt
  • Genehmigungen erschweren Beleihung / Finanzierung

Gegen diese Befürchtungen ist einzuwenden, dass für die Genehmigungsverfahren ebenfalls konkrete Fristen vorgeschrieben sind, die vom Sanierungsträger einzuhalten sind. Genehmigungen sind nur dann nicht zu erteilen, wenn die privat angestrebte Maßnahme, Ziel und Zweck der städtebaulich geförderten Maßnahme gefährdet oder ihr zuwiderläuft. Die Erfahrung der bereits erfolgreich abgeschlossenen Sanierungsmaßnahmen zeigt bundesweit so gut wie keine Ablehnungen. Und schließlich ist der Umgang mit „Sanierungsvermerken“ sowohl für Notare / Steuerberater als auch Darlehensgeber weitestgehend Neuland, so dass der bloße Sanierungsvermerk sogar eher zu einer Wertsteigerung als zu einem Nachteil führt. Weitere Informationen zu den Vorteilen- und Nachteilen eines solchen Vermerks stellt das Immobilienbüro Heid im Internet zur Verfügung.

Weitere Vorteile des Sanierungsvermerks

Für private Sanierungsmaßnahmen steht ein Kontingent an öffentlichen Fördergeldern bereit, aus welchem Eigentümer Zuschüsse erhalten können. Die Höhe der Zuschüsse hängt von den Kosten der geförderten Maßnahmen und den zur Verfügung stehenden Mitteln von Bund, Land und Gemeinde ab.

Eigentümer können im Falle einer Modernisierung oder Instandsetzung umfangreichere Abschreibungen gemäß § 7h EStG vornehmen. Dies gilt auch für Aufwendungen, die der Erhaltung, Erneuerung und funktionsgerechten Verwendung eines Gebäudes dienen, das wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Bedeutung erhalten werden soll. Dabei gilt:

  • Erste acht Jahre: Im Jahr, in dem die Kosten für die Modernisierung anfallen sowie in den folgenden 7 Jahren, können jeweils bis zu 9 Prozent abgesetzt werden.
  • Weitere vier Jahre: In den darauffolgenden 4 Jahren darf der Eigentümer noch jeweils bis zu 7 Prozent der Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen abschreiben.

Nur wenn Grundstückseigentümer eine Bescheinigung der Gemeinde vorweisen, dass Ihre Immobilie in einem Sanierungsgebiet liegt, können diese Sonderabschreibungen beansprucht werden.

Bürgerinformation

Grundsätzlich bemängelten die Mitglieder des Bauausschusses die mangelnde Transparenz des gesamten Verfahrens, dass die Bürger erst durch die Presse „wachgerüttelt“ wurden und dass seitens der Verwaltung keine ausreichende Information bereitgestellt wurde. Der Bauausschuss folgte dem Vorschlag der Verwaltung, das Gesamtprojekt der Stadtverordnetenversammlung am 8. März zum Beschluss zu empfehlen, jedoch unter dem Vorbehalt,

dass in der Sitzung am 8. März konkrete Termine für eine Bürgerinformation

benannt werden.

Wie eine übersichtliche und informative Öffentlichkeitsarbeit aussehen könnte, macht nicht nur der Kommunikationsleitfaden des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen deutlich, sondern auch der Webseitenauftritt der Stadt Oldenburg i.H. mit seinen Rubriken „Städtebauförderung„, „Sanierung“ und „Sanierungs-FAQ„.

Chancen

Durch die Aufnahme in das Förderprogramm „Lebendige Zentren“ bietet sich für unsere schöne Stadt eine großartige Chance. Zum einen können wir endlich die Ziele und lang gehegten Wünsche der Stadtentwicklung in Angriff nehmen. Dies ist umso dringlicher als sich die Hinterlandanbindung zur festen Fehmarnbeltquerung, die 380kV-Leitung und die Zunahme des Schienen- und Schwerlastverkehrs negativ auf die Lebensqualität in Bad Schwartau auswirken werden.

Es besteht weiterhin die Chance, Ziele der Klimaneutralität und der Nachhaltigkeit (Radverkehr / ÖPNV) sowie des inklusiven Sportentwicklungskonzepts konkret zu verfolgen und dadurch dem Leitbild einer modernen Innenstadt näherzukommen.

Schließlich muss sich jeder, der dieses Programm ablehnt, darüber klar werden, dass jede einzelne Maßnahme dann ohne Fördergelder finanziert werden müsste und damit gar nicht realisierbar wäre. In der derzeitigen Haushalts(schief)lage und angesichts der mit dem Projekt verbundenen Chancen sind vorausschauendes und zukunftsorientiertes Handeln gefragt, die unsere Stadt lebens- und liebenswert erhalten.

Lebendige Zentren – das wollen Wir!

Unter dem Titel „Bad Schwartau: Sanierungsgebiet für Innenstadt kommt – viele Bürger zahlen mit“ berichten die Lübecker Nachrichten am 14.2.2023 über die Sitzung des Bauausschusses.

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